Schreiben im Beruf / Business Writing (Teil 3)

Publiziert am: 17.09.2020 | Kategorie(n): Allgemein, Blog Schreiben im Beruf | Verschlagwortet mit:  , , , ,

Schreiben als Prozess begreifen

Niemand, der zeitnah einen Text aufs Papier bringen muss, – und das ist im Berufsalltag die Regel,-  kann alle Qualitätskriterien gleichzeitig beachten, während er einen Text schreibt. Würde er das versuchen, brütete er vermutlich Stunden über einem einzigen Satz und käme mit dem Text nicht voran.

Den meisten von uns ist noch aus Schulzeiten bewusst, dass der eigentlichen Schreibphase im Schreibprozess eine Recherchephase vorausgehen sollte; eine Phase, in der Schreibende Gedanken und Ideen zum Thema stichwortartig festhalten. Für die meisten ist ihre Schreibaufgabe mit dem Niederschreiben des zusammenhängenden Textes dann aber spätestens erledigt. Denn so haben wir Aufsätze in der Schule geschrieben.  Mit der Niederschrift des Textes zum vorgegebenen Thema, war die Schreibaufgabe beendet.

Aus der Sicht moderner Schreibexperten und –didakten purer Dilettantismus! Denn an dieser Stelle fängt eine der wichtigste Phasen im Schreibprozess erst an: die Überarbeitung des ersten Textentwurfs.

Was unsere Deutschlehrer benotet haben, sind nach modernem Schreibprozessverständnis Erstentwürfe von Texten, die noch einer gründlichen Überarbeitung durch die Verfasser bedürfen. Denn die Überarbeitung ist beim Schreiben einer der wichtigsten Produktionsschritte überhaupt. Leider allerdings auch derjenige, der von Schreiblaien in der Regel extrem unterbewertet, wenn nicht gar komplett ausgelassen wird.

Unbeschwert schreiben, kritisch überarbeiten

Deshalb empfehlen Schreibprofis nach Abschluss der Recherchephase: drauflos schreiben, den inneren Kritiker ausblenden, keine Korrekturen vornehmen, auf das Ende des Textes hin schreiben. Wer von Anfang des Schreibprozesses an eine gründliche Überarbeitungsphase einplant, schreibt viel unbeschwerter, produktiver und effektvoller.

Meinem Seminarteilnehmer Markus B. fällt durch diese Erkenntnis ein Stein vom Herzen. Er erkennt im Laufe des Workshops, dass er gar kein grundsätzliches Schreibdefizit hat, sondern dass er den Schreibprozess bisher lediglich zu früh abgebrochen hat. „Das Wichtigste, was ich hier mitgenommen habe, ist, dass meine Hemmschwelle vor dem Schreiben weggefallen ist. Wie und was ich schreibe ist gut, solange ich nach der Niederschrift eine Überarbeitungsphase einplane, in der ich sprachlich an meinen Texten feilen kann.“

Erst ein Text, der dasteht, lässt sich überarbeiten, verbessern und von wohlwollenden Lesern kritisieren. Denn genau das gehört zu einer professionellen Überarbeitungsphase: den Text von einem Kritiker des Vertrauens gegenlesen und sich konstruktives Feedback geben lassen. Eine der wertvollsten Kontrollmaßnahmen überhaupt, vor der sich viel zu viele Schreibende scheuen.

Zu Unrecht, wie Schreibexperten beteuern. Denn idealerweise deckt ein konstruktives Textfeedback die Schwächen auf, bevor ein Text verschickt oder gedruckt wird und  gibt dem Autor Denkanstöße aus der Leserperspektive. Am Ende trägt es erheblich zur Selbstsicherheit des Verfassers bei, wenn er einen gegengelesenen und überarbeiteten Text heraus gibt als einen, der das erste fremde Leserauge erblickt, wenn die Chance zur Überarbeitung vorbei ist.

Feedback-Kultur in Unternehmen etablieren

Allerdings kommt die verbreitete Scheu vor einem Feedback für berufliche Texte nicht von ungefähr. In kaum einem deutsches Unternehmen herrscht eine Schreib- und Feedback-Kultur, die diesen Namen verdient. Das liegt zum einen daran, dass viele Führungskräfte die Regeln einer modernen Schreibkompetenz ebenso wenig kennen wie ihre Mitarbeiter. „Kollegen um die Meinung zu einem meiner Texte zu bitten, habe ich bisher immer vermieden, weil es mir wie das Eingeständnis einer Schwäche ausgelegt wurde“, erklärt Markus B.

Zum anderen hat die mangelnde Feedback-Kultur aber auch damit zu tun, dass die meisten Unternehmer bis heute die Bedeutung von Schreibkompetenz und ihre wirtschaftlichen Konsequenzen für ein Unternehmen nicht erkannt haben.

Peter Berger, Medienberater und Verwaltungssprachexperte aus Hamburg, rechnet in seinem Lehrbuch„Flotte Schreibe vom Amt“ vor, wie sich das Problem mangelnder Schreibkompetenz in Wirtschaft und Verwaltung auswirkt. „Eine Verwaltung verschickt 10.000 Bescheide im Jahr. Wenn nur bei jedem vierten Schreiben ein Bürger telefonisch nachfragt und jedes Gespräch zehn Minuten dauert, dann verbringen Behörden-Mitarbeiter 55 Arbeitstage mit Anfragen, die eigentlich überflüssig sein sollten. Diese Zahl ist noch niedrig gerechnet. Noch viel mehr Zeit geht verloren, wenn Bürger Briefe schreiben oder die Behörde besuchen.“

Das Institut für Mittelstandsforschung legte Ende 2003 eine Studie vor, nach der deutschen Firmen jährlich 46 Milliarden Euro Kosten durch das Abwickeln von Formalitäten entstehen. 80 Prozent der befragten Unternehmer klagten über eine hohe Belastung durch die Bürokratie. Das Problem würde durch unverständliche Schreiben noch verschärft.

Verständlichkeit ist keine Selbstverständlichkeit in der Schreibkultur deutscher Unternehmen. Verständlich schreiben muss man lernen. Das ist noch immer nicht selbstverständlich, sollte es aber längst sein.