Schreiben im Beruf / Business Writing (Teil 2)

Publiziert am: 10.06.2020 | Kategorie(n): Blog Schreiben im Beruf | Verschlagwortet mit:  , , , ,

Für Wolf Schneider, einen der wenigen populären deutschen Sprach- und Stilexperten, gehört zu einer professionellen Schreibkompetenz das Vermögen, sich über Fachgrenzen hinweg verständlich und anschaulich auszudrücken. Texte, die in Ausbildung und Studium entstehen, werden ausschließlich in einem fachspezifischen Kontext für eine entsprechende Leserschaft geschrieben. Ob fachfremde Personen diese Texte verstehen, darauf kommt es hier nicht an. Im Berufsalltag dagegen ist die Verständlichkeit für fachfremde Leserinnen und Leser genau das Kriterium, an dem die Qualität eines Textes gemessen wird.

Berüchtigt ist Wolf Schneider für sein Credo „Qualität kommt von Qual“. Er ist davon überzeugt, dass es die Pflicht jedes Schreibenden ist, sich um einen verständlichen Text zu bemühen. Es sei nicht die Aufgabe der Lesenden, einen komplizierten Text zu enträtseln.

Wer fachlich versiert schreibt, von seinem fachfremden Kundenkreis aber nicht verstanden wird, kann nicht erreichen, was er erreichen will: seinen Leser bewegen. Ob zum Kauf eines Produktes, zur Teilnahme an einer Präsentation, zum korrekten Gebrauch eines erworbenen Gerätes, zur Einhaltung wichtiger Termine, zum Einsenden unverzichtbarer Unterlagen u.s.w.

Udo Marin, Geschäftsführer des Verbandes der Berliner Kaufleute und Industriellen (VBKI), dem bedeutendsten Wirtschaftsverband der Hauptstadt, und Veranstalter des Schreibseminars, an dem Markus B. teilnimmt, hält die berufliche Schreibkompetenz von vielen Unternehmensfachkräften für unzureichend: „Ich lese täglich so viele grottenschlechte Texte von Leuten, die mit ihren Schreibaufgaben objektiv überfordert sind. Am schlimmsten sind die vielen hingerotzten E-Mails, die keinerlei Wertschätzung des Gegenübers erkennen, ja jede Form von Höflichkeit vermissen lassen.  Dabei ist die Schriftsprache unser wichtigstes Kommunikationsmittel.“ Marin ist davon überzeugt, dass man die Sensibilität für dieses Thema erhöhen muss und bietet deshalb für die Mitglieder des VBKI Seminare an, in denen berufliche Schreibfähigkeiten trainiert werden. „Gerade Menschen, die sich wirtschaftlichen oder technischen Berufsfeldern zugewandt haben und wenig Gelegenheit bekommen, ihre Schreibkompetenz zu schulen, nehmen unser Angebot wahr“, erklärt er.

Schreiben kann man lernen

Die Überzeugung, dass professionelles Schreiben ein Handwerk ist und als solches auch von Leuten erlernbar ist, die sich nicht von der Muse geküsst fühlen, verdanken wir der amerikanischen Schreibforschung („the science of writing“). Seit zwanzig Jahren ist sie in den USA anerkannt und an ausgewiesenen Schreibzentren etabliert. Im Land der Dichter und Denker hat diese Forschungsrichtung erst vor gut zwanzig Jahren Fuß gefasst, sich an den Universitäten inzwischen aber etabliert.

Viel unbekannter ist hierzulande die Forschungsrichtung des „Writing at work“. „Schreiben am Arbeitsplatz ist hier ein in Theorie und Praxis nach wie vor unterrepräsentierter, in seiner Bedeutung noch nicht erkannter Gegenstand“, erklärt Eva-Maria Jakobs, Professorin für Sprach- und Kommunikationswissenschaften an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Die 69-Jährige erforscht die Bedingungen beruflichen Schreibens in verschiedenen Branchen. Ihr Forschungsschwerpunkt sind technische Texte und ihre Lesbarkeit.

Professionelles Schreibwissen vermitteln hierzulande lediglich einzelne Fachleute, die sich im Laufe ihres Berufslebens ein spezielles Know-how angeeignet haben: in der Regel eine Mischung aus wissenschaftlicher, journalistischer und kreativer Schreibkompetenz. Ein „zertifiziertes Ausbildungsangebot für Trainer beruflichen Schreibens“ existiert, so viel Eva-Maria Jakobs weiß, in Deutschland bis heute nicht.

Schreibberater sind Pioniere

Es gibt zwar eine Hand voll ausgewiesener Schreibzentren. Diese sind jedoch ausschließlich Universitäten oder Hochschulen angegliedert und stellen die Vermittlung wissenschaftlicher Schreibkompetenz eindeutig in den Vordergrund. Im Gegensatz zu ihren Kolleginnen und Kollegen aus der wissenschaftlichen Schreibdidaktik stehen die Experten für eine berufliche Schreibberatung noch ziemlich allein auf weiter Flur.

Einer von ihnen ist Armin Jäger, Inhaber der Hamburger Schreibberatung „Schreibschwung“ und Autor des Ratgebers „Erfolgreich schreiben im Beruf“ (2007). Für ihn trifft keine deutsche Übersetzung das, was in Amerika als „Business Writing“ bezeichnet wird. „In dem Begriff Business Writing stecken zwei Aspekte[…]. Zum einen schreiben Sie wirtschaftlich und verhandeln damit Geschäftliches. […] Der andere Aspekt des Business Writing ist ein sozialer: Jeder Text erreicht einen Menschen, mit dem Sie „Business machen“, also irgendeinen Sachverhalt oder ein Geschäft verhandeln. […] Diese beiden Aspekte – die Wirtschaftlichkeit und das Gestalten von Arbeitsbeziehungen – machen die Besonderheit des beruflichen Schreibens aus. Daraus ergeben sich völlig andere Prinzipien und Strategien, als zum Beispiel diejenigen, die Sie im wissenschaftlich-akademischen Schreiben verwenden.“

Wer seine Schreibkompetenz berufsbegleitend professionalisieren möchte, ist auf Einzelcoachings oder Seminare angewiesen, die von freien Schreibberatern wie Armin Jäger angeboten werden.

Was ist professionelle Schreibkompetenz?

Schreibberaterinnen und -berater vermitteln im Idealfall alles, was die Entstehung eines Textes von der ersten Idee bis zum druckreifen Text ausmacht: Kreativitätstechniken und –methoden zur Pointierung eines Themas, Methoden zum Sortieren von diffusen Gedankenwolken, Herangehensweisen für den Schreibstart, gezielte Leseorientierung, Techniken für einen effektiven, ertragreichen Schreibfluss, Bewusstsein für die verschiedenen Phasen des Schreibprozesses, Textsortenkenntnisse, Überarbeitungstechniken, Kürzungsmethoden, Feedback etc.

Entscheidend dabei ist, dass der Schreibprozess von Anfang an in verschiedene Arbeitsschritte zerlegt wird. Diese schrittweise Vorgehensweise räumt mit dem Vorurteil auf, dass geniale Texte das spontane Ergebnis außergewöhnlicher Sprachgenies sind. Gute Texte sind zwar tatsächlich das Ergebnis eines komplexen Schreibprozesses, der sich jedoch in einzelne, weniger komplexe und für jeden nachvollziehbare Arbeitsschritte zerlegen lässt.

Keine erfolgreiche Journalistin, kein Werbetexter und keine Schriftstellerin schreibt auf Anhieb druckreif. Das ist ein Mythos, der sich nur hält, weil die einzelnen Arbeitsschritte professioneller Textproduktion nur Profis kennen.

Um welche Arbeitsschritte es sich dabei im Einzelnen handelt, erfahren Sie in Teil 3) meines Blogs.